„Tormann Bobby“

Periode: 1918–1945

„Tormann Bobby“: Wie der deutsche Flüchtling und Schriftsteller-Journalist Robert Grötzsch 1938 den deutschböhmischen Arbeiterfußball sah

Robert Grötzsch (1882-1946) flüchtete im März 1933 mit seiner Frau Hedwig (geb. 1882) in die Tschechoslowakischen Republik (Československá republika, ČSR), der Chefredakteur der sozialdemokratischen „Dresdner Volkszeitung“ war von direkter Verfolgung durch die Nationalsozialisten bedroht. In Prag war Grötzsch allerdings kein Unbekannter: Bereits in den frühen 1920er Jahren hatte er Netzwerke in die deutschböhmische Arbeiterbewegung aufgebaut und publizierte in den Organen der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP). Zudem verfügte er über Kontakte in den geflüchteten Parteivorstand der SPD (Sopade), zu Erich Ollenhauer (1901-1963) , Hans Vogel (1881-1945), Otto Wels (1873-1939) und Friedrich Stampfer (1874-1957). Zwar war er in der Zeit seines Aufenthaltes in der ČSR auf Unterstützung etwa durch die Sozialdemokratische Flüchtlingshilfe angewiesen und wohnte zeitweise in Flüchtlings-Massenunterkünften wie dem „Hotel Ritz“ in Prag-Königsaal (Zbraslav). Vor allem konnte er aber in seiner eigenen Sprache weiterarbeiten und betätigte sich als Schriftsteller und Journalist – er schrieb für deutsche Exil-Zeitungen wie den „Neuen Vorwärts“ und den in Prag erscheinenden deutschböhmischen „Sozialdemokrat“. Anders als jegliche andere Tätigkeit war den deutschen Flüchtlingen in der ČSR diese künstlerische Arbeit erlaubt.

Ihre Lebenssituation führte bei Menschen wie eben Grötzsch, die in der Fluchtsituation nicht zuletzt von der Hilfe der deutschböhmischen Arbeiterbewegung und hier vor allem der DSAP regelrecht aufgefangen wurden, ab etwa 1935 zu einer Neuorientierung: Das nationalsozialistische Regime, das mit ins Deutsche Reich geschmuggelten Exilzeitungen wie eben dem „Neuen Vorwärts“ zum Sturz gebracht werden sollte, etablierte und stabilisierte sich immer mehr. Wie sein einstiger Dresdner Redaktionskollege Edgar Hahnewald (1884-1961), der 1936 in Teplitz den Roman „Karl Herschowitz kehrt heim“ veröffentlichte, richtete sich aber auch Grötzsch zunehmend auf ein Bleiben in der ‚neuen Heimat‘ Tschechoslowakei ein – in Bratislava erschien ebenfalls 1936 sein „Wir suchen ein Land. Roman einer Emigration“, der diesen Ablösungsprozess und die immer stärkere Integration aufzeigte. Robert Grötzschs dann 1938 und ebenfalls in Bratislava veröffentlichter Arbeiterjugend- und -sportroman „Tormann Bobby“ steht genau für diese Entwicklung, spielt der Roman doch in der Fußballsektion des 1919 in Aussig gegründeten Arbeiter- Turn- und Sportverbandes (ATUS) und damit im Milieu der deutschböhmischen Arbeiterbewegung.

Das Buch, das eben dieses Milieu zum Gegenstand und hier vor allem die Jugendlichen als Zielgruppe hatte, spielt in einer deutschböhmischen Kleinstadt und handelt vom Fußballer Benno ‚Bobby‘ Goth, der für den Fußballclub „Freiheit“ des ATUS zuerst erfolgreich im Feld spielt, bis seine Torwartfähigkeiten entdeckt werden. Um keine Konkurrenz aufkommen zu lassen – Bobby will den aktiven Torwart nicht verdrängen – muss eine Konstruktion her¬hal¬ten, in welcher der alte Torwart erkennt, dass der junge Bobby deutlich besser geeignet ist; er räumt schließlich freiwillig seinen Platz. Allerdings – und hier spielt der Roman mitten in der tschechoslowakischen Gesellschaft und im Nordböhmen der 1930er Jahre, wo sich die Folgen der Weltwirtschaftskrise deutlich länger negativ auswirkten – wird Bobby mitten in seiner Metallarbeiterlehre arbeitslos und bleibt dies mehrere Mo¬nate lang. Endlich gibt er dem Wer-ben eines bürgerlichen Fußballvereins nach, der von einem Ma¬schinenbaufabrikanten finan-ziert wird: Bobby bekommt Arbeit und kann gleichzeitig für Geld Fußball spielen. Allerdings ist dies mit politischen Konzessionen verbunden, die Bobby in die doppelte Isolation führen: Getrennt von seinem eigentlichen politischen Milieu kommt er den an ihn gestellten For¬derung nach offener Zustimmung zum Nationalsozialismus – auf einer Vereinsver¬samm¬lung wird der Gruß „Sieg Heil“ verlangt – nicht nach. Nach lang¬wierigen inneren Aus¬ein¬andersetzungen kehrt Bobby dann schließlich zu seinem alten Verein – und damit auch zu seinen eigentlichen Wert¬vorstellungen – zurück.

„Tormann Bobby“ wurde zumindest in der deutschböhmischen Arbeitersportbewegung beworben und auch diskutiert. Und genau hier griff das Buch gleich zwei aktuelle Debatten auf, wurden doch einerseits professionelle Werksmannschaften von den Arbeitersportvereinen ebenso abge¬lehnt, wie Betriebssportvereine oder von Unternehmern finanzierte Sportorganisationen, die als Mit¬tel der Unternehmensführung und als Vorstufe antigewerkschaftlicher Organisationen gal¬ten. Andererseits waren einige ATUS-Funktionäre noch längst nicht davon überzeugt, dass der Fußball mit seiner Beschränkung auf die „elementaren Triebhandlungen“ einer „friedlicher So¬lidarität auszuübenden Köperertüch¬ti-gung“ entspreche (Freiheit. Sozialdemokratisches Tagblatt, Nr. 250 vom 23.10.1937).

Dies allerdings war nur Episode. Denn das Jahr seines Erscheinens deutet zugleich auf das Vergessen von „Tormann Bobby“: Robert Grötzsch ging im Juni 1938 mit dem Sopade-Vorstand nach Paris. Anfang 1941 kam er mit seiner Frau – nach erfolgreicher Flucht über Südfrankreich und Portugal – in New York an, hier überlebte er. 1938 verließ Grötzsch also jene ‚neue Heimat‘, mit der er sich offenbar immer mehr identifiziert hatte. Mit der deutschen Besetzung Nordböhmens im Oktober 1938 und der Okkupation des tschechoslowakischen Kernlandes im März 1939 endete aber zugleich die Geschichte der deutschböhmischen Arbeitersportbewegung und des Arbeiterfußballs, wie Grötzsch ihn beschrieben hatte – als sozialmoralisches Milieu sowie als Ort einer spezifischen politischen Jugendkultur, die nun verboten und an die nach 1945 nicht wieder angeknüpft wurde.

Literatur

  • Grötzsch, Robert: Tormann Bobby, Bratislava 1938
  • Ders.: Wir suchen ein Land. Roman einer Emigration, Bratislava 1936.
  • Oellermann, Thomas: Der Arbeiter- Turn- und Sportverband in der Ersten Tschechoslowa¬ki¬schen Republik, in: Marek Waic (Hg.): Deutsche Turn- und Sportvereine in den tschechi¬schen Ländern und in der Tschechoslowakei, Praha 2008, S. 327-346.
  • Ders.: Die bewusste Absage an eine eigene Erinnerungs- und Beerdi¬gungs¬kultur. Das Fußballspiel im Arbeiter-Turn- und Sportverband (ATUS) der Ersten Tsche¬cho-slowakischen Republik, in: Markwart Herzog (Hg.): Memorialkultur im Fußball¬sport: Me¬di¬en, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens, Stuttgart 2012, S. 409-420.
  • Steinberg, Swen: „Karl Herschowitz kehrt heim“. Der Schriftsteller-Journalist Edgar Hahnewald zwischen sächsischer Identität und der Heimat im Exil. Mit einer kritischen Edition, Berlin 2016.
  • Ders.: Tormann Bobby: Biografie, Netzwerke und Identität in Robert Grötzschs Exil-Arbeiterjugend- und -sportroman von 1938, in: Susanne Blumesberger/Jörg Thunecke (Hg.): Deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur während der Zwischenkriegszeit und im Exil, Frankfurt/M. 2017, S. 231-275.

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