Fluchtpunkt Prag 1933
Als Anfang 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, löste dies eine der größten Flüchtlingswellen in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts aus. Insbesondere die Gegner des Nationalsozialismus sahen sich zur Flucht gezwungen, da ihnen Verfolgung und Ermordung drohte. Zu den ersten, die den Weg in die Tschechoslowakei fanden, gehörten somit deutsche Sozialdemokraten und Kommunisten. Eine weitere große Gruppe von Flüchtlingen aus Deutschland bildeten Juden. Allerdings muss auch hier weiter differenziert werden, denn diese Gruppe war in sich außerordentlich unterschiedlich. Zum einen emigrierten Deutsche jüdischen Glaubens. Diese stammten aus Familien, die zumeist seit Generationen vollkommen in die deutsche Gesellschaft integriert waren und oftmals nur aufgrund ihrer Abstammung als Juden galten, den Glauben an sich aber nicht praktizierten. Eine wichtige Untergruppe waren darüber hinaus Menschen jüdischer Herkunft, die aber aus politischen Gründen vor dem Nationalsozialismus flohen. So fanden sich unter den emigrierten Kommunisten und Sozialdemokraten eine ganze Reihe Juden. Eine weitere Gruppe, die Erwähnung finden muss, waren polnische Juden, die in den 1920er Jahren von Polen nach Deutschland gezogen waren und die nun durch die Nationalsozialisten des Landes verwiesen wurden. Da sich ihr Heimatland in vielen Fällen gegen die Aufnahme stellte, suchten Viele den Weg in die Tschechoslowakei. Bei dieser Gruppe handelte es sich oftmals um strenggläubige Juden. Sie unterschieden sich von daher deutlich von den deutschen Juden.
Die Tschechoslowakei wurde zu einem Hauptzielland der Emigranten aus Deutschland. Hierfür sind drei Gründe zu nennen. Zum einen war die Grenze zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei sehr lang und bot somit auch die Möglichkeit, illegal einzureisen. Als zweiter Grund ist anzuführen, dass die Tschechoslowakei der letzte demokratische Staat in Mitteleuropa war. Alle anderen Länder hatten sich zu autoritären Staaten gewandelt. Nicht zuletzt spielte für die deutschen Emigranten eine große Rolle, dass es in der Tschechoslowakei eine große deutsche Minderheit gab und das Land eigentlich zweisprachig war.
Zu den ersten Flüchtlingen, die 1933 Deutschland verließen, gehörten wie gesagt die politischen Gegner der Nationalsozialisten. Es waren dies vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten. Der Weg in die Emigration bedeutete allerdings nicht, dass sie ihre politische Arbeit aufgaben. Vielmehr versuchten sie nun, von der Tschechoslowakei aus, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Der Druck von Schriften und ihr Schmuggel über die Grenze war eine Haupttätigkeit. In einem ersten Schritt musste es aber darum gehen, die geflohenen Anhänger zu sammeln und zu organisieren. Es wurden deswegen eigene Exilstrukturen geschaffen. In regelmäßigen Zusammenkünften wurden Neuigkeiten aus der Heimat diskutiert und weitere Schritte eingeleitet.
Der Zuzug von Flüchtlingen war kein Novum für die Tschechoslowakei. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg waren größere Gruppen von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Russischen Reich ins Land gekommen. Dennoch zeigte sich die Tschechoslowakei in der Frage der Flüchtlinge aus Deutschland unentschlossen und unkoordiniert. Der Mangel an rechtlich verbindlichen Vorgaben führte gerade in der Anfangszeit dazu, dass Flüchtlinge nach dem Überschreiten der Grenze vom Gutwillen der jeweiligen örtlichen Behörde abhängig waren.
Auf der politischen Bühne gab es in der Frage der Flüchtlinge einen grundlegenden Konflikt zwischen linken und rechten Parteien. Während sich die links orientierten Parteien für ihre geflüchteten Genossen aus Deutschland einsetzten und ein Asyl in der Tschechoslowakei unterstützten, verhielt sich die politische Rechte abweisend. Sie fürchtete zum Beispiel den Zuzug von Kommunisten. Bei der Ablehnung jüdischer Flüchtlinge spielte auch Antisemitismus eine Rolle. Nicht zuletzt fürchtete man, dass einige der Flüchtlinge zu einer Konkurrenz für das heimische Gewerbe werden könnten. Dieser grundlegende Konflikt war die Ursache dafür, dass die Hilfe für die Flüchtlinge letztlich mehrheitlich von Privatleuten und privaten Initiativen erbracht wurde.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Demokratische Flüchtlingsfürsorge, die Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge, das Hilfskomitee des Einheitsverbands der Privatangestellten und das Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland.
Das Leben der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei unterlag zahlreichen Einschränkungen. So war ihn zumeist nicht gestattet, eine Arbeit aufzunehmen, was auch kaum möglich war, da die Weltwirtschaftskrise im Land zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt hatte. Ein großer Vorteil gegenüber anderen Ländern war aber die Tatsache, dass es in der Tschechoslowakei große deutschsprachige Gebiete. So boten sich einigen wenigen Flüchtlingen doch Arbeitsmöglichkeiten, die zumeist über Beziehungen zustanden kamen.
Für die große Mehrheit der Flüchtlinge ergab sich aber eine Perspektivlosigkeit. Untergebracht in Massenunterkünften, versorgt mit einem Minimum an Lebensmitteln, das durch private Speisungen gewährleistet wurde, ging es Vielen darum, die Tage hinter sich zu bringen. Gerade an den kalten Wintertagen wurden so verschiedene Prager Kaffeehäuser zu einem Ort, an dem sich Emigranten aufhielten, wobei sie aus Geldmangel über mehrere Stunden nur eine Tasse Kaffee tranken.
Als 1938 im Zuge des Münchener Abkommens die Grenzgebiete der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht besetzt wurden, blieb vielen Gegnern des Nationalsozialismus nur die Flucht ins Inland. Zum Hauptzielpunkt dieser Binnenflüchtlinge des Jahre 1938 wurde Prag.
Mit der Besetzung Prags durch die deutsche Wehrmacht im März 1939 und die Errichtung des sog. Protektorats Böhmen und Mähren entstand für viele Gruppen eine große Bedrohung. Dies gilt zum einen für die jüdische Bevölkerung, sowohl für die tschechischen Juden als auch für die jüdische Flüchtlinge, die sich einer zunehmenden Drangsalierung und Einschränkung im alltäglichen Leben gegenüber sah. Zum anderen gilt dies unmittelbar für die sich bekennenden Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale aus Deutschland, aus den deutschsprachigen Gebieten der Tschechoslowakei oder aus dem tschechischen Inland handelte. Ihnen und insbesondere ihren führenden Vertreter drohte Verhaftung, Folter und Ermordung. Von daher blieb vielen Gegnern des Nationalsozialismus, denen aus Deutschland und denen aus der Tschechoslowakei nur die weitere Emigration. Zu Zielländern wurden hierbei vor allem Großbritannien, die Sowjetunion, Schweden und Kanada.
Siehe auch
Prag, die Stadt des Sports, in der sich viele Kulturen treffen
Prag zog Künstler, Schriftsteller und Sportler aus der Tschechischen Republik und dem Ausland an.
Nicholas Winton war nicht allein: Retter 1938 – 1939
Ohne die Hilfe vieler in- und ausländischer Freiwilliger hätten sich viele Menschen nicht in Sicherheit bringen können.
Wo deutsch schreibende SchriftstellerInnen unterwegs waren
Das Thema stellt fünf deutsche AutorInnen vor, die in ihren Büchern Prager Straßen, Ecken oder Bewohner beschrieben haben.