Prager Kinos und Lichtspielhäuser
Die erste Filmvorführung in Prag fand 1895 auf der Tschechoslowakischen Ethnographischen
Ausstellung statt, wo das von Thomas Alva Edison entwickelte Kinetoskop zu sehen war.
Dieses Gerät ermöglichte es den Zuschauern, bewegte Bilder durch ein kleines Guckloch zu
sehen. Bei den Besuchern erregte es jedoch keine nennenswerte Aufmerksamkeit, sie haben
es einfach als ein weiteres optisches Spielzeug abgelehnt.
Weniger als ein halbes Jahr später, nach der Vorstellung der Erfindung der Brüder Lumière –
des Kinematographen, fand in Karlsbad die erste Filmvorführung in den böhmischen Ländern
statt, gefolgt von weiteren Städten wie Marienbad, Brünn, Mährisch Ostrau oder Leitmeritz.
Prag erlebte seine erste Vorführung am 18. Oktober 1896 im Hotel U Černého koně („Zum
Schwarzen Pferd“), welche vom Prager Optiker Adolf Oppenheimer organisiert wurde.
Kinematographie im Rahmen des Gesetzes
Für Pioniere der Kinematographie galt lange Zeit das Dekret der Hofkanzlei von 1836, das die
„Grundsätze der polizeilichen Überwachung von umherziehenden Gruppen von
Schauspielern, Seiltänzern, Gymnasten, Musikern usw.“ formulierte. Aus der Kategorie der
fahrenden Kunst konnten die Besitzer fester Prager Kinos erst 1912 durch die Verordnung des
Ministeriums des Innern und für öffentliche Arbeiten, Nr. 191, über die Veranstaltung
öffentlicher kinematographischer Arbeiten heraustreten. Die Norm basierte auf einem
Gerichtsbeschluss und übertrug die Regelung auch auf Betriebsstätten und verschärfte die
Erteilung einer Vorführungslizenz. Der Lizenzinhaber musste fachlich, körperlich und
moralisch geeignet sein. Es war seine Pflicht, eine sichere und den Gesundheitsstandards
entsprechende Projektion zu gewährleisten (was selbstverständlich von amtlichen Personen
kontrolliert wurde). Es durften nur solche Filme gezeigt werden, die der
Bezirkspolizeidirektion und dem Kommissariat vorgelegt und von diesen genehmigt worden
waren. Die Zensur verbot vor allem solche Filme, die die moralischen Anforderungen
gegenüber der Jugend nicht erfüllten.
Eine grundlegende Persönlichkeit in der Geschichte des Prager Kinos wurde Viktor Ponrepo,
ursprünglich der Salonkünstler Dismas Šlambor. Nach der Aufhebung des Monopols des
Varieté-Theaters auf Filmvorführungen im Jahr 1906, eröffnete Ponrepo am 15. September
1907 das erste ständige Kino in Prag, das Theater der lebenden Fotografien, im Haus „U
Modré štiky“ („Zum Blauen Hecht“) in der Karlstraße. Dieses Kino wurde zu einem
Kulturdenkmal und markierte den Beginn einer neuen Ära der Kinematogrpahie in der Stadt.
Der Erfolg des Ponrepo-Kinos gab den Anstoß zur Gründung mehrerer weiterer ständiger
Kinos in Prag. 1909 wurden das Orient-Kino in der Hybernská-Straße, das Elite Grand
Electric Theatre in der Poříčí-Straße und das Biograph Illusion am Wenzelsplatz eröffnet. Im
selben Jahr wurde anstelle des geplanten Theaters das Kino Lucerna (Laterne) in dem
prächtigen Gebäude von Václav Havel eröffnet. Es wurde zu einem Symbol für Luxus und
Qualität. Die Innenausstattung des Kinos umfasste Marmortreppen, Plüschsitze und
Kristalllüster. Es ist bis heute eines der am längsten betriebenen Kinos in Europa.
Ende 1909 verfügte Prag über 13 ständige Kinosäle. Mit dem Übergang zu festen Gebäuden
begann sich der tschechische Begriff für das Lichtspielhaus „kinematograf“ in das englische
„biograf“, abgekürzt „bio“, oder das deutsche „Kino“ zu verwandeln. 1909 wurde der
Verband der Prager Kinobesitzer gegründet, mit Max St. Kock als Präsident und Victor
Ponrepo als Vizepräsident.
Im Jahr 1910 gab es in Prag 18 ständige Kinos und damit etablierte sich die Stadt als
wichtigstes Zentrum der Kinoentwicklung in Europa, was bis zur Zwischenkriegszeit anhielt.
Mit 87 Kinositzen pro 1.000 Einwohner hatte Prag zu dieser Zeit eine viel höhere Kinodichte
als Filmmetropolen wie z. B. Paris oder Berlin.
Mit der Forderung, dass Lizenzen zum Betrieb von Kinos an gemeinnützige Organisationen
vergeben werden sollten, drängten in der Saison 1919/20 vor allem nationalistische
Körperschaften wie der Tschechoslowakische Nationalrat und verschiedene
Interessenverbände von Kriegsinvaliden auf die Regierung. In der Zeit nach dem Umsturz
nutzten sie die weit verbreitete Angst vor der wirtschaftlichen Bereicherung einiger
Unternehmer und warnten öffentlich vor der „Verlängerung ausländischer Konzessionen“.
Obwohl sie persönlich auch tschechische „Millionäre“ wie den Besitzer des Lucerna, Miloš
Havel, und den Architekten und Besitzer der Melantrich-Passage, František Weyr, angriffen,
hatten sie in erster Linie Menschen im Sinn, die für das Wohl unserer Republik absolut nichts getan hatten – oder sogar gegen sie gearbeitet hatten, was sie vor allem über die jüdischen
Kinobesitzer sagen wollten. Laut Angaben der Polizeidirektion gab es im Jahr 1920 in Prag
nur drei Kinobesitzer jüdischen Glaubens: Während die Betreiber der Kinos Orient und
Konvikt, Evžen Stein und Arnold Reimann, von den Beamten der Polizeidirektion der
tschechischen Nationalität zugeordnet wurden, erhielt die Besitzerin des Kinos Elite, Hermína
Antuschová (Hermine Antusch), die Bezeichnung „deutscher Nationalität, Israelitin“. Die
Lizenz für das von ihr betriebene Kino Elite erhielt Anfang 1921 der Verband der
Altveteranen, die Lizenz für das Kino Konvikt der Verein Vincentinum und das Kino Orient
ging an die Nordböhmische Nationalvereinigung. Weitere Lizenzen gingen zum Beispiel an
die Zentrale Arbeiterschule für das Bio Koruna, das Tschechoslowakische Rote Kreuz für das
Bio Lucerna, den Aufklärungsverband für das Bio Passage, den Verband der Invaliden der
Tschechoslowakischen Legionen für das Sommer-Kino Helios und die Philanthropische
Gesellschaft für das Bio Illusion. Einige der früheren Kinobesitzer einigten sich mit den
Verbänden auf eine Abfindung und verkauften somit ihr Kino, andere ehemalige Eigentümer
wurden von den Verbänden als Vertreter bzw. Betriebsleiter übernommen.
Das Projekt entstand dank der Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds im
Jahr 2024.
erstellt von: Adam Schreiber
Siehe auch
Deutscher Evangelischer Friedhof
Der deutsche evangelische Friedhof in Strašnice erfüllte seinen Zweck von 1795 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach der Vertreibung des größten Teils der deutschen Bevölkerung aus Prag und der gesamten Tschechoslowakei fand der Friedhof keine Verwendung mehr und wurde 1950 offiziell geschlossen.
Nicholas Winton war nicht allein: Retter 1938 – 1939
Ohne die Hilfe vieler in- und ausländischer Freiwilliger hätten sich viele Menschen nicht in Sicherheit bringen können.
SoPaDe
Deutsche Sozialdemokratie im Exil in der Tschechoslowakei.