Lucerna-Palast

Der Lucerna-Palast ist ein bemerkenswerter architektonischer Komplex, der auf einem ungewöhnlichen Grundstück zwischen der Vodičkova-Straße, der Štěpánská-Straße und dem Wenzelsplatz liegt. Dieses Gelände, auf dem zuvor mehrere ältere Häuser standen, wurde in den Jahren 1907-1920 grundlegend umgestaltet. Die Planung der Bebauung wurde von Ing. S. Bechyně entwickelt, die Projekte stammten von J. Čamberský und Ing. Vácslav M. Havel (1861-1921), dem Großvater des ehemaligen tschechischen Präsidenten. Der architektonische Stil des Palastes spiegelt den Übergang von der späten Jugendstil- zur frühen Moderne wider.


Nach seiner Fertigstellung wurde der Lucerna-Palast schnell zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum Prags und diente als lebendiger Treffpunkt für Menschen verschiedener Nationalitäten, Ethnien und sozialer Schichten. Die einzigartige Fassade des Komplexes entlang der Vodičkova-Straße verlieh dem Gebäude einen unverwechselbaren Charakter. Hier befanden sich auch die Lucerna-Bar, das Restaurant Černý kůň („Schwarzes Pferd“) und das Kino Lucerna.


Der Teil des Palastes, der zur Štěpánská-Straße hin liegt, wurde später fertiggestellt und umfasst den Großen Saal. Dieser große Saal, der 1920 fertiggestellt wurde, verfügt über Gemälde von Mikoláš Aleš am Eingang und eine Büste des Baumeisters Vácslav Havel, die während der kommunistischen Regierung entfernt wurde. Der Saal wurde Schauplatz vieler bedeutender kultureller, gesellschaftlicher und politischer Veranstaltungen und war ursprünglich für 4.000 bis 6.000 Besucher konzipiert. Interessanterweise sollte er ursprünglich als Eisfläche dienen, was jedoch nie umgesetzt wurde. Aus diesem Grund wird der Palast manchmal auch „Eispalast“ genannt.


Der Große Saal beherbergte Auftritte zahlreicher bedeutender Persönlichkeiten, darunter den Dirigenten Arturo Toscanini, den Komponisten Richard Strauss und den deutschen Schriftsteller und Dramatiker Gerhart Hauptmann, der 6.000 Zuschauer anzog. Weitere bedeutende Interpreten waren die Wiener Philharmoniker sowie die Jazzlegenden Duke Ellington und Louis Armstrong, die hier neun aufeinanderfolgende ausverkaufte Konzerte gaben.


In der Lucerna-Bar, ursprünglich als Kabarett Lucerna bekannt, trat der Choreograf Joe Jenčík auf, der auch mit dem Befreiten Theater zusammenarbeitete, und es gastierten Orchester unter der Leitung von Teddy Sinclair und R. A. Dvorský. Auch der berühmte Karel Hašler trat hier auf.
Eine bedeutende historische Veranstaltung im Lucerna-Palast war der 18. Zionistische Kongress im Jahr 1933, der zur Zeit der Machtergreifung Adolf Hitlers stattfand.
Im Jahr 1909 nahm das Kino Lucerna seinen Betrieb auf und war 1929 als erstes Kino der Region mit der Ausstattung für Tonfilme versehen.

Miloš Havel

Miloš Havel in der Publikation „Dvacet let Lucerny“ von 1929, Quelle: Nationalbibliothek Prag

Wie der gesamte Bau der Lucerna eng mit der Familie Havel verbunden ist, so ist auch das Kino Lucerna untrennbar mit der Person Miloš Havels verknüpft. Er wurde als jüngerer Sohn des Unternehmers Vácslav M. Havel geboren und trat im Alter von nur 17 Jahren in die von seinem Vater gegründete Firma Lucerna Film ein. Dort wurde er Direktor des Kino Lucerna und des Lucerna-Palast und beteiligte sich sogar am Drehbuch und der Konzeption des Stummfilms „Pražští adamité“.


In diesem Film ging es nicht, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, um ein historisches Thema, sondern es war eine Komödie im Umfeld eines Schwimmbads in Prager Stadtteil Braník. Der Film erzählte die Geschichte des Frauenschwarms Herrn Štovíček und seines Doppelgängers, des Bademeisters Véna Vodopich. Wie in der damaligen Filmbeschreibung steht: „Aus der erstaunlichen Ähnlichkeit der Doppelgänger entsteht hier der Konflikt der Komödie, sehr dankbar und dramatisch sehr effektiv. Die Komödie strotzt vor unwiderstehlichen komischen Situationen, die durch die großartige Interpretation der einzelnen Darsteller noch mehr zur Geltung kommen.“ Der Film ist nicht nur wegen der erstmaligen Verwendung einer Doppelrolle und sogar einer doppelten Belichtung in der Filmgeschichte interessant, sondern es handelt sich auch um den ersten tschechischen Film, der von der Wiener Verleihfirma Collegia für Österreich-Ungarn, Deutschland, die Ukraine und den Balkan gekauft wurde.

Im Jahr 1921 gründete Miloš Havel die Aktiengesellschaft AB (American Film Company und Biografia) durch den Zusammenschluss von Verleihgesellschaften, und 1931 begann auf Vorschlag des Spitzenarchitekten, Stadtplaners und auch Filmregisseurs Max Urban der Bau der Filmstudios in Barrandov.


Das Kino Lucerna war hinsichtlich der Repräsentativität der Innenräume und des technischen Fortschritts an der Spitze der Prager Premierenkinos. Es war das erste Kino in der Tschechoslowakei, das die entsprechende Ausrüstung erwarb und 1929 mit der Vorführung von Tonfilmen begann: „Diese Geräte sind die weltweit fortschrittlichsten überhaupt und werden in der Tschechoslowakei erstmals im Kino Lucerna für die Vorführung des neuesten Tonfilms Show Boat verwendet, in dem die berühmtesten Revuekünstler der Vereinigten Staaten singen werden. Die Eröffnungsfeier wird bekannt gegeben.“1
Das Kino Lucerna zeigte vor allem Filme aus drei Ländern – der Tschechoslowakei, Deutschland und den USA. Von den tschechoslowakischen Filmen wurden vor allem diejenigen gezeigt, die von Lucernafilm und anderen Schwesterunternehmen von Miloš Havel produziert wurden. Tschechoslowakische Filme feierten regelmäßig große Erfolge und liefen mehrere Wochen im Programm. Der Film Muži v offsidu („Männer im Offside“, 1931, Regie: Svatopluk Innemann) der Gesellschaft A-B beispielsweise erreichte eine sechs Wochen lange Vorführung im Kino Lucerna, und auch der Film Před maturitou („Vor dem Abitur“,1932), ein Werk von Vladislav Vančura und Svatopluk Innemann, lief ununterbrochen fünf Wochen lang.

Saal des Kinos Lucerna nach dem Umbau im Jahr 1913

Nach der Entstehung des Protektorats Böhmen und Mähren war eines der Ziele der Nazionalsozialisten, die Barrandov-Studios günstig zu erwerben, um dort ihre Filme zu drehen. Miloš Havel musste mit den Nazionalsozialisten zusammenarbeiten, um den Verkauf seiner Anteile in Höhe von 51% an Barrandov zu verhindern, verlor aber schließlich die Mehrheit. 1940 verkaufte er seinen Anteil für 6.885.000 Kronen und erhielt das Recht, die Studios für die Produktion von fünf Filmen pro Jahr zu mieten. Während der Protektoratszeiten drehte Lucernafilm 32 Filme, darunter Noční motýl („Der Nachtfalter“) und Kristián. Nach dem Krieg wurde ihm jedoch beispielsweise eine antisemitische Szene in seinem Film Jan Cimbura vorgeworfen. Nichtdestotrotz beschäftigte Havel auch eine Menge Menschen, um sie vor der Zwangsarbeit zu schützen, und half verfolgten Personen, darunter Schriftstellern und Schauspielern.


„Während der nationalsozialistischen Besatzung hielten wir mehr zusammen. Miloš Havel, der Mitinhaber des Lucerna-Palast war und der Hauptaktionär der Filmfabriken AB, auch Produzent vieler tschechischer Filme, in denen ich mitspielte, war sehr großzügig zur gesamten Filmbranche. Was er für Künstler tat, die während der Besatzung in ihrem Beruf nicht arbeiten durften! Kurz nach der Besatzung richtete er in den unteren Räumen der Lucerna einen Filmklub ein, in dem wir uns treffen, unterhalten, unser Herz ausschütten und über die Verhältnisse schimpfen konnten. Und das ohne Angst, dafür schikaniert zu werden.“


Raoul Schránil