Café Kandelabr

Egon Erwin Kisch

Es ist ein famoser Trunk, der 80gradige, mit angenehm im Magen flammendem Rum vermengte Tee, der hier kredenzt wird, – aber er bleibt doch nur ein Frühstück, ein ekelhaft kategorischer Schluβpunkt nach einer schönen, kaum begonnenen Nacht. Es ist wirklich zu arg mit den Ehrungen dieser Welt.  …

 „Frau Jemelka, noch einen Achtziggradigen, Zwanzigprozentigen um fünf, etwas zum Aufweichen und zwei Retten.“

Frau Jemelka stellt ein Glas unter die Mündung des Messingrohres, dreht den Hahn nach rechts und läβt die Essenz in das Glas rinnen, in welches nun das heiβe Wasser kommt. Dann sucht sie eine Mohnbuchte zum „Aufweichen“ aus und gibt dem Besteller zwei „Sport“. Sie weiβ ganz gut, daβ mit der Bestellung der Retten – so wird der Ausdruck „Zigaretten“ in vorgerückter Nachtstunde abgekürzt – nur „Sport“ gemeint sein können, damit die Zeche die runde Summe von 20 Hellern ausmache.

Frau Jemelka steckt das Zwanzighellerstück in eine Blechbüchse, die ihr als feuer- und einbruchssichere Kassa dient. Zwölf Prozent gehören der „Cafetiere“, die nicht selbständige Unternehmerin ist, sondern eine Angestellte der Kleinschen Likörfabrik vom „Roten Stern“ in Karolinental.  Das fahrbare Teehaus ist Eigentum der Kleinschen Fabrik, und die liefert die Essenz, die Tee, Rum und Zucker enthält. Den Erlös der verkauften Quanten, abzüglich der Provision von zwölf Prozent, muss Frau Jemelka abführen.  …

„Café Kandelabr.“ Eigentlich haben die gastlichen Lokomotiven, die in der Nacht an den Straßenecken Station machen, offiziell einen anderen Namen. „Ambulance heißer Getränke“ steht mit goldenen Lettern auf der Wagenfront. Aber der Ausdruck hat sich nicht eingebürgert. Er trifft auch nicht mehr so recht zu. Freilich ist das Teehaus ambulant, und um die neunte Abendstunde kann man das nicht mehr ungewohnte, darum aber nicht minder seltsame Schauspiel genießen, eine Lokomotive mit einer vorgespannten Dogge durch die Straßen fahren zu sehen. Dann aber bezieht sie ihren Standplatz, den sie jahraus, jahrein innehat, der Hund kuscht sich zwischen den Rädern, und Wagen und Hund rühren sich bis zum Morgengrauen nicht von der Stelle.


Quelle: KISCH, Egon Erwin. Die Abenteuer in Prag. Prag: Ed. Strache, 1920, S. 353-355.

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