Gerichtet

Periode: 1850–1918

Rainer Maria Rilke

Gerichtet
Am „Ring“ stand einst ein Blutgerüst,
lang ist es her; doch wenn der Schein
des runden Monds das Rathaus küßt,
dann wallen aus dem heilgen Teyn
Gerichtete in Geisterreihn …
Weh wer sie sah!
 
Viel Herren fielen auf dem Ring;
die Herren finden Ruhe nicht; –
sie zogen eines Nachts: Es ging
voran Herr Christus, groß und licht,
mit ernstem, traurigem Gesicht …
Und einer sahs!
 
Der war ein Maler. Und im Flug
malt er, wie er geschaut, den Ring.
Er malt den ganzen Geisterzug,
dem ernst voran Herr Christus ging.
Er malt … bis ihn ein Fieber fing …
Jetzt ist er tot. –


Quelle: RILKE, Rainer Maria a Karel HRUŠKA. Larenopfer: Prag in Gedichten. Prag: Vitalis, 1997.

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